Kunst im Stadtraum - Art in Urban Area -                                                                             Zurück

 


Allgemeine strukturelle Überlegungen
zur Kunst im Stadtraum


Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors


Karl Ernst Osthaus-Museum der Stadt Hagen
"Kunst im öffentlichen Raum in Hagen" - 1993


Hans Friesen

Allgemeine strukturelle Überlegungen zur Kunst im Stadtraum

1. Vorbemerkung
In den letzten Jahren haben die Themenbereiche "Kunst am Bau" und "Kunst im öffentlichen Raum" reges Interesse gefunden. Viele große und kleine Ausstellungsprojekte, Kataloge und sonstige Publikationen zeugen davon. In vielen Städten sind Bestandsaufnahmen der Kunstbestände in den öffentlichen Räumen durchgeführt worden. Eine kontroverse Diskussion über das Thema ist entstanden. Das Spektrum reicht von völliger Ablehnung einer öffentlichen Kunst bis hin zur Erörterung neuer Grundlagen für Kunst im Stadtraum. Probleme gibt es sowohl, was die ungeregelten und deshalb zweifelhaften Wettbewerbs- und Vergabeverfahren betrifft, als auch im Hinblick auf das Verhältnis der Stadtbewohner zur Kunst.

2. 'Kunst am Bau' und 'Kunst im öffentlichen Raum'
Die 'Kunst-am-Bau'-Idee als Gesamtkunstwerk unter dem Primat der Architektur stellt eine Tradition dar, die von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik und die Nazizeit bis in die Bundesrepublik der 1960er Jahre andauerte.
[1] In den 1970er Jahren wurde die 'Kunst-am-Bau'-Verordnung zunächst in Bremen aufgegeben und durch die Verordnung 'Kunst im öffentlichen Raum' ersetzt. Die Bezeichnung "Kunst im öffentlichen Raum" anstelle von "Kunst am Bau" ist keine neue Bezeichnung für eine alte Sache, sondern steht für eine neue Konzeption. Soll das Kunstwerk architekturbezogen aufgestellt werden? Oder soll es die Beziehung zur Architektur aufgeben? Diese Fragen, mit denen sich die Kunstkritik der späten 1920er Jahre bereits beschäftigt hatte, gewannen Ende der 1950er Jahre erneut Bedeutung. Diejenigen, die die erste Frage positiv beantworteten, standen noch auf dem Standpunkt von Sempers Theorie vom Gesamtkunstwerk unter dem Primat der Architektur, während diejenigen, die die zweite Frage positiv beantworteten, befürworteten, die Kunst vom Bau zu emanzipieren und als unabhängiges Pendant zum Bauwerk im öffentlichen Raum aufzustellen. Die Bindung des Kunstwerks an den einzelnen öffentlichen Neubau sollte beseitigt werden; es konnte nun im ganzen Stadtraum aufgestellt werden. Entkoppelt von der Idee eines Gesamtkunstwerks wurden in den 1980er Jahren 'Kunst-am-Bau'-Projekte wieder aufgenommen. [2]

3. Die Künstler
Aufträge im Rahmen der 'Kunst-am-Bau'-Verordnungen waren besonders in der Nachkriegszeit wichtig für all diejenigen Künstler, die es sich aufgrund ihrer ökonomischen Situation nicht leisten konnten, als freischaffende Künstler tätig zu sein und autonome Werke zu schaffen. Seitdem die Kunst sich aus den traditionellen religiösen und politischen Bindungen befreien konnte und ansetzte, autonom zu werden, hat sich ein Kunstmarkt herausgebildet, der eine neue Abhängigkeit für die künstlerische Produktion zur Folge hatte.
[3] Die Künstler mussten in freier Konkurrenz auf dem Kunstmarkt um Aufträge und Abnehmer für ihre Kunstobjekte werben. Diesen Konkurrenzkampf konnten jedoch nur wenige Künstler bestehen. Um überleben zu können, waren daher die meisten auf Aufträge des Staates angewiesen, in der ersten Hälfte 20. Jahrhunderts insbesondere auf die so genannten 'Kunst-am-Bau'-Aufträge. Um diese Aufträge begann sich ein harter Konkurrenzkampf unter den Künstlern abzuzeichnen. Damit so etwas wie Verteilungsgerechtigkeit gewährleistet werden konnte, wurden häufig lokale Künstlervereinigungen gegründet, die allerdings weniger programmatische Absichten verfolgten, sondern vielmehr allein der Interessenvertretung ihrer Mitglieder dienten, um auf diesem Wege größeren Einfluss auf den Auftragsmarkt zu gewinnen. [4] Die Auswahl, die auf diese Weise seit den 1950er Jahren zustande kam, ging nicht selten auf Kosten der Qualität. Die öffentliche Kunst wurde so eine Kunst zweiter Ordnung. Der Ort der künstlerischen Innovation war das Museum. Diese Entwicklung ist in den 1970er und 1980er Jahren von vielen Künstlern beklagt worden, und sie dachten intensiv darüber nach, wie Kunst im öffentlichen Raum aufgestellt werden kann, ohne dabei die Qualität zu verlieren.

4. Der Standort der Kunstwerke
Wenn bildende Künstler ihre Werke für den öffentlichen Raum produzieren, dann verlassen sie den Bereich, den die Moderne ihnen zur Entfaltung ihrer Autonomie eingeräumt hat. Sie müssen eine neue, also postmoderne Philosophie ausbilden. Außerhalb der vordefinierten Bereiche der Museen und Galerien werden sie mit neuen Bedingungen der Produktion konfrontiert; sie müssen ihre Werke mit Bezug auf die bestimmte räumliche Situation herstellen. Aber diese Vorstellung, den Raumbezug in die Hervorbringung eines Kunstwerkes einzubeziehen, ist für den avantgardistischen Künstler der Moderne eine völlig unmögliche. An Donald Judds Statement zu seinem Beitrag zur ersten Skulpturen-Ausstellung in Münster 1977 lässt sich das zeigen: "Die Kategorien von 'öffentlich' und 'privat' haben für mich keine Bedeutung. Die Qualität eines Werkes kann weder durch die Bedingungen, unter denen es ausgestellt wird, noch durch die Anzahl der Leute,




die es ansehen, verändert werden. Die Idee einer Bildhauerkunst für die Öffentlichkeit geht zurück auf Denkmäler. Das kürzlich wiederbelebte Wort 'monumental' ist ähnlich hinfällig." [5] Donald Judd steht mit diesen Worten noch vollständig in der Tradition der Moderne. Die Bildhauerkunst arbeitet ihm zufolge für sich selbst und nicht für die Öffentlichkeit. Diese Auffassung, die während der Skulpturen-Ausstellung in Münster 1977 noch allgemein anerkannt war, wurde zehn Jahre später, auf der zweiten Münsteraner Skulpturen-Ausstellung, nicht mehr akzeptiert. Mit dieser Ausstellung im Jahre 1987 wurde versucht, Künstler und Stadt in einen Dialog miteinander zu bringen. Auf diese Weise sollte ein sinnvoller Beitrag zum besseren Verständnis der Stadt und zugleich der zeitgenössischen Kunst geleistet werden. Außerhalb des exklusiven Bereichs des Museums sollte sich die Kunst im öffentlichen städtischen Raum einem unspezifischen Publikum stellen. Diese Begegnung fiel aber weder in Münster, noch in den vielen anderen Städten, in denen weitere Skulpturen-Ausstellungen stattfanden, auf fruchtbaren Boden. Nicht selten reagierten die Bewohner der Stadtviertel, in denen die Kunstwerke aufgestellt wurden, mit Aggressionen und teilweise auch mit Gewalt. Durch Gewöhnungsprozesse ist die Kunst in den folgenden Jahren leider wieder aus dem Aufmerksamkeitsfeld der Stadtbewohner entschwunden.

5. Die Betrachter
Im Zentrum der alltäglichen Wahrnehmung städtischer Umwelt finden die Werke öffentlicher Kunst heute sicherlich nur noch in besonderen Fällen einen Platz. Es müssen nicht immer Fälle von Vandalismus sein, oder die Aufstellung eines neuen spektakulären Werkes; auch schon anlässlich einer Erfassung der Kunstbestände im Stadtraum, beim Registrieren und Fotografieren der Objekte beispielsweise, kann die Aufmerksamkeit der Anwohner auf die Kunstwerke in ihrer Straße, in ihrem Park oder wo auch immer gelenkt werden. Sie sehen Kunst in solchen Fällen häufig das erste Mal, weil sie sie in ihrer gewohnten Umgebung nicht vermutet hätten. Denn in der Kunst sehen viele Menschen eine "Gegen-Welt", die den Regeln des Alltags nicht gehorcht und von daher eher im Museum vorzufinden ist.


Da das Bedürfnis nach dem Schein einer anderen Welt sich nicht von selbst eine Befriedigung in der Kunst im Stadtraum sucht, müsste diese vom öffentlich engagierten philosophisch reflektierenden Künstler angestrebt werden; er müsste andere, nicht der Kulturindustrie eigentümliche Bildwerke hervorbringen, die das Ziel menschlichen Strebens anders stecken, also nicht zum Konsum herausfordern, sondern das Versprechen einer anderen Welt einlösen, einer Welt der unverborgenen Wesentlichkeit, die die Welt des entfalteten Unwesens in Frage stellt. Auf diese Weise könnten für den Betrachter "Gegen-Bilder" geschaffen werden, ich meine Gegen-Bilder zur kulturindustriellen Bildproduktion, die mittlerweile derart fundamentale Züge angenommen hat, dass sie die gesellschaftliche Wirklichkeit bald insgesamt simulieren kann. Die Bezugnahme auf Realität wird heute immer öfter vorgenommen durch eine Bezugnahme auf Bilder, die diese Realität für den Betrachter erst konstituieren. [6] Damit schwindet der alte Unterschied zwischen Realität und Fiktion; er droht ersetzt zu werden durch eine Hyperrealität, die verhängnisvolle Konsequenzen hätte, nämlich eine totale Ästhetisierung der Lebenswelt. Daher gilt es heute mehr denn je, den Blick fürs Unanschauliche zu schärfen, den Blick dafür, dass es etwas Undarstellbares gibt. Der Kunstphilosoph Wolfgang Welsch spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer Anästhetisierung des öffentlichen Raums. [7]

6. Ausblick
Selbstverständlich zielt die Kunst im öffentlichen Raum auf eine Überbrückung der Kluft zwischen Kunst und Leben ab. Aber kein zeitgenössischer Künstler ist noch der naiven Überzeugung, die genannte Kluft sei ohne weiteres aufzuheben und Kunst und Leben könnten vereint werden. Nirgends nämlich ist der Widerstreit zwischen Kunst und Leben so offensichtlich wie im öffentlichen Raum. Häufig genug schlägt er in Vandalismus um. Aber an dem Hervorrufen dieses Widerstreits knüpft sich weiterhin die Hoffnung, dass aus den Figuren des schönen Scheins einmal doch noch, scheinlos wie Adorno sagt, die Rettung hervortreten könnte.

Anmerkungen
[1] Vgl. B. Mielsch, "Die historischen Hintergründe der 'Kunst-am-Bau'-Regelung", in: V. Plagemann (Hg.), Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre, Köln 1989, S. 28ff.
[2] Vgl. Kat. Architekturbezogene Kunst in Deutschland. Probleme - Beispiele - Möglichkeiten, hrsg. v. d. Junior Galerie, Goslar o. J. Vgl auch R. Häusser u. D. Honisch (Hg.), Kunst Landschaft Architektur. Architekturbezogene Kunst in der Bundesrepublik Deutschland, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1983.
[3] Vgl. V. Plagemann, "Kunst außerhalb der Museen", in: ders. (Hg.), Kunst im öffentlichen Raum, a.a.O., S. 10f.
[4] Vgl. Kat. Öffentliche Denkmäler und Kunstobjekte in Dortmund, Dortmund 1990, S. 27.
[5] D. Judd in: Skulptur. Ausstellung in Münster, Münster 1977, S. 48.
[6] Vgl. "'Der Feind ist verschwunden'. Spiegel-Interview mit dem Pariser Kulturphilosophen Jean Baudrillard über die Wahrnehmbarkeit des Krieges", in: Der Spiegel, 6, 1991, S. 220f.
[7] Vgl. W. Welsch, "Thesen zur Kunst im öffentlichen Raum heute", in: Orte, 1, April 1992, S. 12-13.

Seit 2003 lehrt PD Dr. Hans Friesen an der Hochschule Vechta und der Technischen Universität Cottbus

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