Dr. Hans-Georg Sehrt, Kunsthistoriker,
Leitender Regierungsdirektor (Referatsleiter Kultur im Landesverwaltungsamt Halle)


Von Naumburg nach Zerbst
Zum 4. Internationalen Steinbildhauer-Symposium in Sachsen-Anhalt


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Entwicklung und Veränderung der Steinbildhauer- Symposien des Landes Sachsen-Anhalt von 1988 - 2004


Aus der Broschüre zum 4. Internationalen Steinbildhauer-Symposium
Sachsen-Anhalt, 5. Juni bis 17. Juli 1994 im Schloßgarten Zerbst                
(gekürzt)

Wenn sich eine Gruppe von Menschen zusammenfindet und nur stumm und unbeteiligt nebeneinandersteht, dann erscheint das recht sinnlos, anders wenn sie miteinander reden, diskutieren, parlieren, wenn sie gar reden und miteinander arbeiten, dann sind wir der Form des Symposiums - wenn es die Bildhauer des Verbandes Bildender Künstler Sachsen-Anhalts verstehen - sehr nahe.

Bis zu dieser Art von gemeinsamer künstlerischer Arbeit war es aber auch ein mehrjähriger Weg mit entsprechenden "Teststrecken". Denn im Gegensatz zu jemandem, der es gewohnt ist, im Team zu arbeiten, sich in einen vorgegebenen Arbeitsablauf einzufügen, Persönliches und zu Individuelles zurück zu stellen, sind bildende Künstler die absolute "Solo"-Arbeit gewohnt. Sie bestimmen ihren Tages- und Lebensrhythmus im Einklang mit dem durch fast nichts reglementierten Arbeitsrhythmus selbst.
[...]

Der Start für das befristete öffentliche Arbeiten mehrerer Bildhauer in Sachsen-Anhalt lag 1988. Der Name "1. Bilaterales Bildhauer-Pleinair" stand für die Beteiligten wie für die Form gleichermaßen. Mit "bilateral" - zweiseitig - war die Beteiligung von Bildhauern aus zwei Ländern, damals je drei aus der UdSSR und der DDR gemeint.
[...]

In einem Beitrag in der "Freiheit" von Wolfgang Radelski im August 1988 heißt es dazu: "Pleinairs wie das in Naumburg werden seit Jahren u. a. auch im Kombinat VEB Chemische Werke Buna und im Mansfeld-Kombinat "Wilhelm Pieck" veranstaltet. In ihnen werden Bündnisbeziehungen zwischen Werktätigen und künstlerischer Intelligenz sowie zwischen den Künstlerverbänden der sozialistischen Länder vertieft."
Auch wenn einen das Vokabularium besonders aus heutiger Sicht unangenehm berührt und höchst phrasenhaft wirkt, so trifft trotzdem die Aussage den Kern des damaligen Pleinairs, das trotz der wichtigen Unterschiede so meilenweit nun auch nicht von den heutigen Symposien entfernt ist:
[...] Der zweite Aspekt .."Bündnisbeziehung" ergab sich ganz praktisch daraus, dass es nur schlecht vorstellbar war, dass Künstler aus den "kapitalistischen" westlichen Ländern bei solch einem Pleinair mitmachen würden und konnten und durften, [...] Also blieben nur die Kontakte zu den östlichen/sozialistischen Künstlerverbänden [...]

Dann im Sommer 1990 hat sich die Weltlage schon gravierend verändert, das blieb naturgemäß nicht ohne Auswirkungen auf das künstlerische Arbeitstreffen, wiederum in Naumburg.
[...]. Nach "bilateral" kommt nun "international", so der offizielle Titel,
"II. Internationales Bildhauer-Pleinair", in den regionalen Zeitungen mit Wonne gespiegelt,
[...] die offenen bzw. nicht oder kaum noch vorhandenen Grenzen machen es möglich. [...] Teilnehmer aus Naumburgs Partnerstadt Aachen, aus Moskau aus der Slowakei aus Naumburg selbst und aus Halle. [...] Dieselbe Zeitung - außer dem Namen hatte sich noch nichts geändert - die vordem das oben genannte Vokabularium verwendet, berichtet mit ganz anderen nun allgemein gebräuchlichen Worten, [...] unter der Überschrift "Phantasie frei entfalten": "[...] Es sollen keine Meinungen aufgezwängt werden, die Beobachter sollen sich aus den Darstellungen herausziehen, was für sie wichtig ist - das Anliegen der Bildhauer". Der ehemalige Direktor des Romanischen Hauses in Bad Kösen, Jochen Gericke, geht in seinem Beitrag für das Naumburger Tageblatt vom 28. August 1990 noch direkter vor. Zeit, Situation, Pleinair und Vorgehensweise der Künstler werden hier noch weitaus konkreter gespiegelt: "   Im Unterschied zum 1. Pleinair vor zwei Jahren ("Lyrik im Park") gab es dieses Mal keinerlei thematische Vorgaben. Das gestattete natürlich manches, was vor der Wende unerwünscht war. Igor Koslow nennt seine Figurengruppe "Grablegung", eine Gruppe in Überlebensgröße, ein Werk mit religiösem Hintergrund. Er möchte in seinen Arbeiten etwas vom Innenleben ausdrücken. Die aufgesetzte neo-russische Pathetik in der Plastik, in unserer Noch-DDR leider mehrfach präsent, ist ihm zutiefst zuwider. Im Inneren bewegt ihn die Not der Menschen, ganz gleich in welchem Land der Erde. Ihre "Frau mit Koffer" will die zierliche Stefanie Weskott direkt auf einen Betonbahnsteig der Straßenbahn vor den Bahnhof gesetzt wissen. "Ohne Sockel", das ist ihr sehr wichtig. Aktueller Gedanke ist für sie dabei nicht nur die Reisefreiheit, sondern genauso das scheinbar nie endende Flüchtlingsproblem. Tibor Szilagyi hat einen "Aufschrei" in Stein gebannt, so auch der Titel der Skulptur, Zeichen des Aufbegehrens gegen jede Art von Kommandowirtschaft. [...]

Die Zeiten haben sich geändert, das ist auch in diesem Bericht unverkennbar. Aber was gleichermaßen unverkennbar ist - auch die aufwendige und nur mit Bedacht und langsam anzufertigende Plastik spiegelt, trotz mancher Allgemeingültigkeit, auf erstaunliche Weise direktes Zeitgefühl. Ein Gefühl, das sich zwangsläufig z.B. in dieser Zeit auf völlig unterschiedliche Weise bei einem Deutschen, einem

 
Russen oder einem Slowaken in Abhängigkeit von der eigenen Situation, den momentanen Gegebenheiten seines geschichtlichen Umfeldes, möglicherweise nationalen Besonderheiten, künstlerischen Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen äußert.

Der dritten Bildhauerbegegnung im nunmehrigen Bundesland Sachsen-Anhalt stand nun nichts mehr im Wege; aber auch die Bedingungen, Möglichkeiten und Anforderungen, die schon 1990 in der Veränderung waren, hatten sich nun für 1992 grundlegend gewandelt. Neu war u.a. die Ausschreibung des Ortes für das geplante Symposium.
[...] Unter anderem ging es auch um einen nicht unbeträchtlichen finanziellen Anteil, den die ausgewählte Gemeinde für die Durchführung des Symposiums aufbringen muss; [...]
Bad Kösen bekam letztlich den Zuschlag
[...]. Das "3. Internationale Steinbildhauer -Symposium" verband Künstler aus fünf Ländern [...]. Der "internationale Blick" auf das neue Deutschland hatte auch die Künstler in aller Welt neugierig gemacht, [...]. Wenn dieses Symposium vordem trotz Ausschreibung und Informationen international noch nicht so bekannt geworden war, so änderte die Kösener Veranstaltung das mit einem Schlage. Die Gründe dafür lagen in der Spannweite und der Internationalität der Teilnehmer, der sehr aufmerksamen Begleitung des Symposiums in den Medien, der großen Aufgeschlossenheit sowie dem hilfreichen Handeln der Stadtverwaltung Bad Kösen und der hohen künstlerischen Qualität der entstehenden bzw. entstandenen Skulpturen.
Bad Kösen hat nach den "Vorbereitungen" Naumburg I und II wohl den Durchbruch gebracht, daran hatte auch das ständige Gespräch zwischen den beteiligten Künstlern und der Bad Kösener Bevölkerung einen nicht unbeträchtlichen Anteil.
[...]
Zerbst erlebte nun 1994 das "4. Internationale Steinbildhauer-Symposium".
[...] Deutschland steht momentan nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt des Weltinteresses, die Umbruchzeiten - zumindest die von außen erkennbaren - sind weitgehend vorbei. Doch das Steinbildhauer-Symposium in Sachsen-Anhalt ist zu einer "Institution" innerhalb der internationalen Kunstszene geworden und [...] für ein funktionierendes Beispiel der Internationalisierung der Kunst, auch für die Ziele öffentlicher Kunstförderung. [...] Die Saat von Bad Kösen war aufgegangen. [...] 
Dass Zerbst schließlich den Zuschlag bekommen hatte lag
[...] auch daran, dass schnell ein auffallend intensives Engagement der Stadtverwaltung sowie des Stadtparlaments unter Einbeziehung der regionalen Wirtschaft und der Vereine und Verbände erkennbar wurde. Noch mehr als in Bad Kösen sollte sich das auch direkt auf den Ablauf des gesamten Symposiums auswirken. [...] 
Bei der hohen Bewerberzahl - 80 Bildhauer - war eine Auswahl unter guten und anspruchsvoll arbeitenden Bildhauern möglich.
[...]
Neben der wesentlich größeren öffentlichen Resonanz, die das Symposium in Zerbst gefunden hat, gab es noch einige Unterschiede, die m. E. für die Weiterentwicklung stehen. Dazu gehört ohne Frage das Vorbereiten der Standort der Plastiken in Zerbst. [...] wesentlich mehr als nötig waren, um den Künstlern Wahlmöglichkeiten zu lassen. [...]
Im Ergebnis dieses Symposiums wird vielleicht bewußt, welche Möglichkeiten für den Einsatz von Kunst über die direkte Zuordnung zum Bau in der Öffentlichkeit bestehen: Ansporn für die Künstler
[...] und Anregung für die "öffentliche Hand", aber auch private Bauherren gleichermaßen steckt dahinter. [...] 
Längst ist der Begriff "Kunst am Bau" durch die wesentliche weitere Formulierung "Kunst im öffentlichen Raum" ersetzt worden. Hier lassen sich auch die Steinplastiken der sachsen-anhaltinischen Symposien einordnen.
[...] In jedem Fall geht es um vom Menschen gestaltete, manchmal verunstaltete und wieder zu hebende Landschaft in Verbindung von Architektur, Kunst und öfter Natur. Um die "Kunst im öffentlichen Raum" - nicht als notgedrungenes Beiwerk, sondern als Teil, sei es im Kontrast oder als Einheit verstanden - kann sich keiner drücken, der Lebensumwelt in seiner Menschlichkeit anstrebt. So wie die Denkmalpflege ihren Anteil daran hat, gehört die öffentliche Kunst zur Findung oder zur Bestätigung der eigenen Idendität dazu. [...] 

Das Symposium 1994 in Zerbst ist abgeschlossen. Was bleibt sind gelungene anspruchsvolle und schöne Skulpturen von Künstlern aus verschiedenen europäischen Ländern in einer kleinen Stadt Sachsen-Anhalts, die sich diese Stadt ohne das Symposium nie hätte leisten können,
[...] Die Entfernung von Naumburg bis Zerbst ist in Kilometern gemessen sicher gering, aber der geistig-praktische Weg vom "1. Bilateralen Bildhauer Pleinair" 1988 bis zum " 4. Internat. Steinbildhauer-Symposium" 1994 erforderte Zeit, Überlegung, Erfahrung, Kraft, Engagement, den Willen zur Fortführung und schließlich Geld. Man kann nur allen daken, die das alles aufgebracht haben.
Sicher gibt es noch manche Überlegungen dazu, was man im einzelnen noch verändern könnte. Doch an dem Gesamtkonzept sollte man festhalten.
[...] 

Halle, im Juli 1994
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis
von Dr. Hans-Georg Sehrt
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