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Thomas Schüttes Skulptur
"Kirschensäule" in Münster
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Die Orte, die Thomas Schütte für seine Werke aufspürt,
haben etwas Selbstverständliches, Unspektakuläres, umso deutlicher verwandeln
die Setzungen von Skulpturen den Ausdruck des Ortes. Schüttes dreidimensionaler
Kommentar als Reaktion auf die Situation erschließt eine neue Erzählebene. Dies
soll am Beispiel seiner Kirschensäule, für die Skulptur Projekte in Münster
1987 entstanden, belegt werden. Als Thomas Schütte den innenstädtischen Plan
erstmals für sich wahrnahm, war er bestimmt von zahlreichen Elementen, die die
Möblierung der Städte überall bestimmen. Neben Abfall- und Altglascontainern
befanden sich dort Fahrradständer und Telefonzellen, die parkenden Autos wurden
von einer Wand aus gelben Baucontainern umstellt. Der Platz erschien wie ein
alltäglicher Abstellplatz von Gebrauchsformen. Das Zentrum des Ortes wurde von
einem mächtigen Baum markiert. Daneben befand sich ein abgestorbener Kirschbaum, der gefällt werden musste. Mit Bezug darauf, entschloss sich
Schütte, dieses Arrangement lediglich zu garnieren`, wie er es nannte, indem er
ein Kirschenpaar auf einer Säule dort platzierte. Die Kirschensäule wurde zum
Denkmal, die Heroisierung der Kirschen konterkariert mit monumentalisierter
Ironie die überlieferte Vorstellung davon. Hintergrund des Bildkommentars war
auch die veränderte Auffassung der Funktion von einer sogenannten Kunst für den
öffentlichen Raum. Zehn Jahre nach der ersten Skulptur-Ausstellung in Münster
1977, in der die strengen Konzepte einer von Minimal Art geprägten
Ausdrucksform dominierten, gesteht Schütte insofern die Vergeblichkeit von
Kunst im öffentlichen Raum ein, als sie immer dazu nutzt, die Öffentlichkeit
mit Kunst und dem, was man sich darunter vorstellt, zu bedienen. Nach
dem Verbleib von drei Werken aus dem Jahre 1977, den Giant Pool Balls von
Claes Oldenburg, den Betonringen von Donald Judd und einer Skulptur von Ulrich
Rückriem, wurde die Skulptur Kirschensäule von Thomas Schütte von der
Stadt Münster erworben und innerhalb der damaligen Ausstellung schnell zum
neuen Wahrzeichen. Danach verselbständigte sich die Karikatur, und die
Veränderungen des Platzes nehmen einen eigenen Verlauf. So als habe man den
bildnerischen Verweis von Thomas Schütte, das garnierende Moment von
Stadtmöblierung, ernst genommen, beginnt die Stadt Münster, den Platz
umzugestalten. Für eine gewisse Zeit verschwinden alle Alltagsobjekte, man
entfernt die Fahrradständer, ebnet die Parkplätze ein, demontiert die
Telefonzellen und findet für die Altglascontainer entlegenere Stellplätze. Der
Platz wird gänzlich neu gepflastert, um den Traufbereich des Baumes zu
schützen, wird ein Beet angelegt. Es werden Überlegungen an den Künstler
herangetragen, seine Kirschensäule wie eine Schachfigur über den Platz
wandern zu lassen, was Schütte ablehnt, zumal die Kirschensäule dort
ihren Standort zugewiesen bekommen hatte, weil sich dort zuvor ein Baum befand.
Die Einfassung des Beetes verläuft heute als gedachte Linie durch die Mitte der
Basis der Säule. Der Platz wurde autofrei, der alte Straßenverlauf ist nur
durch unterschiedliche Farbabstufungen im Pflaster erkennbar, und aufgrund der
Regenwasserrinnen, im Verbund mit der angrenzenden Fußgängerzone, wirkt das Areal
heute wie eine Hinterhofterrasse. Auf neue und zugleich beständige Weise
kommentiert die Kirschensäule den Ort. Aus der skulpturalen Garnierung
wurde eigentlich ein Denkmal, das an die Errungenschaften der Stadtplanung
gemahnt.
Denn
für eine kurze Zeit erprobte man das Verständnis von zeitgenössischer Skulptur
als Erdung neu entwickelter Stadtarchitektur. Probeweise wurde ein Unterstand
aufgestellt, ein neu entwickelter Fahrradständer, dessen Metallteile dem Rot
der Kirschen angeglichen worden waren. Die Skulptur wurde für kurze Zeit zur
Hommage einer Form der "corporate identity" des Stadtraums. Es ist
nicht zu klären, ob Einsicht, Verständnis oder Unbehagen die Aufstellung des
Fahrradunterstandes als zeitlich befristetes Intermezzo erscheinen ließ. Der
Platz wurde jedenfalls nicht so belassen, wie er sich nach der Begradigung
darstellte, er wurde zur weiteren Gestaltung an das Stadtplanungsamt
freigegeben mit dem Ergebnis, daß heute eine Brunnenskulptur zusätzlich den Ort
bestimmt. Nach den prägenden künstlerischen Vorgaben aufgrund zweier
Skulptur-Ausstellungen im Stadtraum passieren solcherlei Platzzutaten nicht
mehr die Kunstkommission und andere beratende Gremien der Stadt, weil man diese
Ausübung von Skulptur, insbesondere von Brunnenwerken - wie auch am
Hauptbahnhof der Stadt Münster -, als Kunsthandwerk einstuft und damit jeder
Zuständigkeit innerhalb einer Diskussion um Kunst im öffentlichen Raum
entzieht. Es
bleibt festzustellen, daß die Kirschensäule von Thomas Schütte die
besserwisserischen Absichten der verschiedenen Gestaltungsphasen überdauert
hat. Noch immer dominiert die Säule aus Baumberger Sandstein mit ihrem
Kirschenpaar darauf den Ort ihrer Wirkkraft auf immer wieder überzeugende
Weise. Der Ausdruck der Absurdität als Metapher einer möglichen Unvereinbarkeit
von moderner Kunst und Stadtraum wird sichtbar belassen. Die
Dimension und die Proportion in bezug auf den Platz ist nie ganz faßbar, die
Erscheinung der Säule wirkt mal als Vergrößerung einer fiktiven Schachfigur,
mal als postmoderne Persiflage der Geschichte der Säule. Die Stilisierung des
Motivs, die Verfremdung, sie als Präsentationsform von Kirschen zu nutzen,
stellt die Bedeutung von öffentlichen Repräsentationsformen generell in Frage,
nur die eindeutige Erkennbarkeit des Gegenstandes macht die Bildfigur für jeden
verständlich, der ausgelöste Bildwitz überliefert vielleicht als einzige
Möglichkeit ein gemeinschaftsstiftendes Moment, das jeder zeitgenössischen
Skulptur im öffentlichen Raum heute verlorengegangen ist. Darin liegt die
Schwierigkeit begründet, sie der Öffentlichkeit zu vermitteln. Im öffentlichen
Stadtraum ist jede Skulptur jedem Blick, jeder Interpretation und jedem
Kommentar ausgeliefert. Thomas Schütte antwortet diesem Verlust
identitätsstiftender Aspekte mit der künstlerischen Strategie der Inszenierung
seiner Bildwelt, die mit den Mitteln der Karikatur das ihm Eigene vor der
Öffentlichkeit schützt. Schüttes Orte sind ihrem Charakter nach als Bühnen zu
verstehen, auf denen sich Geschichten, die das Leben selbst schreibt,
abspielen. Jeder Betrachter ist eingeladen, zu einer bestimmten Zeit seinen
Aufzug zu erleben. Schüttes Beiträge für den öffentlichen Raum, insbesondere
die eine permanente Skulptur in Münster, werden so zu Lehrstücken über unseren
Umgang mit dem und unser Verständnis vom öffentlichen Raum. Gerade die Kirschensäule
durchläuft alle Stadien der Interpretation, je nach Lesart, sie ist
Skulptur, wurde zum Wahrzeichen, zeigt sich als Denkmal, ist vielleicht nur ein
Zeichen, gibt sich verspielt als Hommage auf die gesamte Denkmalsgeschichte und
erscheint als urbanes Versatzstück irgendwie komisch. Und nur darin überlebt
die Skulptur von Thomas Schütte, allen Eingestaltungsversuchen zum Trotz, als
Kunststück.
Aus: Botho-Graef-Kunstpreis der Stadt Jena '96, Kulturamt
der Stadt Jena, Jena 1996.
Münster
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