In Münster
eröffnet zum vierten Mal die weltgrößte Skulpturenschau. Die Pariser Künstlerin
Dominique Gonzalez-Foerster lässt in ihrem Beitrag die bisherigen Ausstellungen
auf wundersame Weise Revue passieren. Ein Werkstattbericht.
Hundert Angriffswellen
englischer Bomber auf die Domstadt Münster, das war die Rache für Coventry!
Zurück blieb ein Trümmerhaufen. Über dem Grundriss der intakt gebliebenen
Kanalisation bauten sture Westfalen das historische Stadtzentrum wieder auf,
als wär nichts gewesen: Münster - eine originalgetreue Kopie seiner selbst,
lebensgroße Puppenstube des Neuanfangs wie des Vergessens.
Dann, an einem 11.
September, kamen die Rolling Stones und spielten ihr erstes Konzert in
Deutschland. In Münster, 1965.
So gäbe es einiges zu erzählen aus dieser bodenständigen, tiefschwarzen, studentisch überformten
Fahrradfahrer- und Fußgängerzonenmetropole. Die Geschichten springen die
Pariser Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster nur so an, seit sie zur großen
Skulpturen-Ausstellung eingeladen wurde.
Welche Ehre! Die Skulptur
Projekte gibt es bloß alle zehn Jahre, seltener noch als die Documenta im nahen
Kassel. Die siebenunddreißig Künstler, die hier mitmachen dürfen, zählen zu den
Großen.
Dominique Gonzalez-Foerster
ist eine eher zurückhaltende, mädchenhafte Frau, deren komplizierter Name sie
als ein spätes Kind des Krieges ausweist. Spanisch der Großvater,
der in eine französische Uniform schlüpfte und in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet;
deutsch die Mutter aus Radolfzell, die sich am Bodensee in seinen Sohn verliebte. Dominique kam 1965 in Straßburg zur Welt, wuchs im international
geprägten Grenoble auf, der Olympiastadt.
Sie fühlt sich französisch.
In Deutschland spricht sie Englisch.
Kassel, Graz, Venedig,
Zürich, Antwerpen, Amsterdam, Chicago, Luxemburg, New York - wo hat sie nicht
überall ausgestellt! Die zwischen Paris und Rio de Janeiro pendelnde Künstlerin
ist eine, von der man nie weiß, was sie als Nächstes macht, in welchem Genre
sie gerade arbeitet, mit welchen Materialien. Super8, Video, Klang, Leuchtdioden, Plastiken - auf ihrer Einzelausstellung im Pariser Musée d'Art
Moderne de la Ville im Februar dieses Jahres war von alldem etwas zu sehen -
bis hin zu einem Leseteppich, an dessen Rand sie Bücher gestapelt hatte. Wer
sich als Besucher niederließ zu den Werken Kurt Cobains, W. G. Sebalds, Hannah
Arendts oder Stanislaw Lems stellte sich mit aus und wurde Teil einer im
Wortsinne bildenden Kunst.
Für Münster, das war ihre
erste Idee vor einem Jahr, wollte sie einen Roman schreiben. Einen Roman als
Skulptur!
"Aber leider kann ich
nicht so gut schreiben", sagt sie. Auch habe sie ein Aspekt der lokalen
Historie abgeschreckt: das Katholische. Diese Kirchengeschichten, Männergeschichten,
Heiligengeschichten, die wollte sie, eine feministisch grundierte Ungläubige,
nicht erzählen. Und ohne die wäre es kaum gegangen. Also, da sollte ihr noch
was anderes einfallen.
In diesem Prozess des Einfallens, Prüfens und Verwerfens, der sich der Beobachtung entzieht, liegt
wohl das, was ihre Kunst ausmacht. Alles Weitere ist die Mischung aus Wille,
Zähigkeit, Selbstkritik und Fleiß, ohne die nichts zustande käme.
Münster hat im Lauf der
Jahrhunderte etliche Metamorphosen überstanden. Da gab es eine mittelalterliche
Stadtmauer, an deren Verlauf heute die Promenade erinnert, die als ringförmiger
Park die Altstadt umschließt. Da gibt es den riesigen Aasee, der erst zwischen
den letzten Kriegen angelegt wurde und das heutige Bild Münsters so lieblich
macht.
Aasee, Promenade,
Altstadt - genau am Schnittpunkt der drei Dominanten, am Kanonengraben, in dem
die abziehenden Franzosen nach dem Siebenjährigen Krieg ihre Waffen versenkten,
liegt der Rasenstreifen, auf dem die Künstlerin aus Paris nun tätig wird.
Als 1977 die erste
Skulpturen-Ausstellung in Münster stattfand, wollten die Kuratoren Klaus
Bußmann und Kasper König die moderne Kunst aus dem Museum nach draußen holen.
Joseph Beuys, Richard Long, Bruce Nauman, Ulrich Rückriem und Richard Serra
zählten zu den Eingeladenen - heute allesamt Stars. Der Amerikaner Claes
Oldenburg war es schon damals, was ihm nicht half. Er sah das eben
wiederaufgebaute Münster als plane Fläche, als riesigen Billardtisch, auf dem
er Kugeln so zufällig wie in einem wirklichen Spiel verteilen wollte. Jede
Kugel war allerdings dreieinhalb Meter hoch und aus Beton.
Das Kleine vergrößern,
das Bewegliche einfrieren - solche Umkehrungen liebte er; hier hatte eine in
der Stadtmauer stecken gebliebene Kanonenkugel den Anstoß gegeben.
Für den Kugelhagel aus
Amerika fehlte den Münsteraner Stadtverwaltern jeder Sinn. Die drei Kugeln, die
der Ausstellung schließlich bewilligt wurden, kamen am Ufer des Aasees zu
liegen. Studenten wollten sie sogleich ins Wasser rollen, um gegen die
Verschwendung öffentlicher Mittel zu protestieren.
Münster erlebte und
erlitt drei Ausstellungen in dreißig Jahren. 1977 schaffte es die Moderne nur
bis in die Grünanlagen. 1987 war das Motto: Vom Park zum Parkplatz - raus aus
der Beschaulichkeit, rein in den Alltag. Seit damals steht Thomas Schüttes
Säule mit den zwei leuchtenden Kirschen am Harsewinkelplatz. Wer vor ihr seinen
Wagen abstellt, kann auf dem Weg zum Einkauf gleich einen Obstgedanken fassen.
1997 kamen die Touristen; die einst umstrittene Schau wurde zum Event mit
internationaler Zugkraft. Statt Ablehnung droht nun die Vereinnahmung durch das
Stadtmarketing.
Im Jahr 2007 wird es deshalb um Rückschau und Ausblick gehen. "Performativ, medial, reflektiv" solle
die vierte Auflage werden, sagen die Kuratoren, Kasper König als Mann der
ersten Stunde, Barbara Franzen als später Hinzugestoßene. Man erwartet eine
halbe Million Besucher von Mitte Juni bis Ende September.
In diesem Moment hüpft
Dominique Gonzalez-Foerster aus dem Kanonengraben. Die Wiese ist ihre Bühne -
was wird sie zeigen?
Auf ihrem
Leseteppich in Paris lagen Bücher des amerikanischen Science-Fiction-Autors PhilipK. Dick,
der Blade Runner schrieb.
Dick verlegte seine gesellschaftlichen Albträume in die Zukunft. Von ihm
inspiriert, fragt sich die Künstlerin, wie wohl ein reicher Kunstfreund aus zum
Beispiel Indien in nicht allzu ferner Zeit, vielleicht 2027, auf die
Münsteraner Ausstellung schaute. Er könnte sich einen Skulpturenpark zulegen
wollen mit einer persönlichen Sammlung quer durch den Raum und die Zeit der
kleinen deutschen Stadt. Wie sähe es aus, die stark ortsgebundenen Werke
mehrerer Jahrzehnte aus ihrem Kontext zu lösen und als Ensemble des
Maharadschas zusammenzuführen?
Sie wird es nun
ausprobieren, nicht in Indien, sondern am Kanonengraben. Über die Wiese legt
sie einen unsichtbaren Stadtplan und errichtet an den entsprechenden Stellen
verkleinerte Replikate noch stehender, einst gestanden habender oder jetzt,
2007, noch aufzustellender Skulpturen. Etliche dieser Werke aus vier
Ausstellungen sind sich in der Raumzeit nie begegnet, weil sie zehn, zwanzig
oder dreißig Jahre auseinanderstanden und nach einem Sommer wieder entfernt
wurden.
Das Projekt ist nicht nur
recht verrückt, es ist auch ziemlich aufwendig. Bauen Sie mal 39 Kunstwerke
nach!
Die Ausstellungsmacher hatten anfangs gemischte Gefühle; sie würden das eigene Wirken Revue passieren
sehen. Und die Verkleinerung: Nachher steht da eine Minigolfanlage!
Verkleinerung musste aber sein. Um Abstand zu schaffen und um die Sache überhaupt verwirklichen zu können. Einige Skulpturen sind ja sehr schwer oder
sehr hoch, Ilya Kabakovs Wortantenne zum Beispiel, die seit 1997 am Aasee auf
Sendung ist.
Die Künstlerin versteht sich nicht als One-Woman-Show; weder legt sie je allein Hand an (oft sogar gar
nicht), noch trifft sie alle Entscheidungen selbst. Sie sieht sich eher als
Regisseurin des Standbildes auf der Wiese, an dessen Zustandekommen viele
mitwirken.
Die Kuratoren stellten ihr Dieter Silling zur Seite, einen Kfz-Elektromeister und Metallbauer,
selbstständig, afrikaerfahren. Mit unzureichenden Mitteln Unmögliches möglich
zu machen - darauf versteht er sich. An einem eisig-kalten Tag im Januar dieses
Jahres sitzen die beiden erstmals an jenem unendlich langen Tisch in der Herzkammer
des Ausstellungsbüros, um zu beraten, wie es gehen könnte.
Silling ist perfekt
vorbereitet. Er kommt mit einem Aktenordner voller Kunstwerkdetails,
Textmarkern und Zollstock, einem Laptop mit Konstruktionsprogramm und einem
Handy im Halfter, das er jederzeit ziehen kann. Er wird von nun an zwischen der
Künstlerin und allen, die ihr zuarbeiten, vermitteln. Vieles kann er selbst
anfertigen, wenn er denn erst einmal weiß, wie.
Also geht es zunächst um
Fragen des Materials. Sie verwenden viel Zeit auf das Kunstwerk und seine
technische Reproduzierbarkeit im Maßstab eins zu vier. Soll man den ironischen
Fahrradständer Richard Artschwagers von 1987 nicht lieber in Stahl nachbauen
statt in Beton? Die schmalen Stege brechen sonst noch ab.
Was ist mit den Kugeln
Oldenburgs? Er machte das Kleine groß, sie machen das Große jetzt mittel. Aber
ein paar Hundert Kilogramm pro Stück halten angeheiterte Studenten nicht auf,
die spätabends noch eine ruhige Kugel schieben wollen.